Lesezeit:      15 Minuten
Inhalt:           lies den ersten Absatz „Angst“
Hashtags:    #vertrauen   #einbruch   #grenzüberschreitung   #angst   #mut

Charakter:   Blogbeitrag zur Sendung Sag mal Tanja!? am 22.10.2020 auf antenne 1 Neckarburg Rock & Pop
Mitschnitt:   Den Mitschnitt der Redebeiträge meiner Sendung findest du HIER.
Podcast:      Dieser Blogbeitrag gibt es in den nächsten Tagen auch als Podcast.

 

 

Angst

Jeder, der es selbst erlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Kalte Hände. Zittern. Angst. Angst, die in an manchen Tagen unkontrolliert in dir hochkriecht. Es fängt meist in den Füßen an und sucht sich dann seinen Weg über das Rückenmark in alle Körperteile bis in die Fingerspitzen. Es hat dich in dem Moment komplett erfasst, in dem sich deine Nackenhaare aufstellen. Schockgefrostet, dein Körper fühlt sich an wie SCHOCK-gefrostet. Im wahrsten Sinne des Wortes. Eiskalt und zerbrechlich. Auch noch Jahre danach.

Ich rede von Menschen, die Opfer eines Einbruchs geworden sind. So wie ich. Damals in Berlin. Vor über 20 Jahren. Wie man Grenzüberschreitungen im Privaten aber auch im Beruflichen verarbeiten kann, darum geht es in diesem Blogbeitrag.

Sichtbar für die schlechten Jungs

Ich weiß noch genau, wie ich damals von der Uni nach Hause gekommen bin. Es war kurz nach Weihnachten. Anfang Januar. Winter. Um 17.00 Uhr war’s dunkel. Zappenduster. Ich hatte meinen heißgeliebten Winter-Fleece von Jack Wolfskin an. Knall-Orange mit kleinen roten Skifahrern drauf. Gewagte Kombi. Zumindest damals. Egal. Ich war zumindest weithin sichtbar. Für jeden. Für die guten Jungs. … Aber auch für die schlechten.

Ich wohnte in Berlin …

Damals wohnte ich in Berlin. Seestraße 107. Im Wedding. Nicht wirklich die perfekt Lage, nicht wirklich eine gute Wohngegend. Aber günstig in zweifachem Sinne. Günstig von der Miete her und verkehrsgünstig gelegen für Studierende der TU Berlin. Wie an jedem Tag, wenn ich von der Uni kam, schloss ich mein Fahrrad im Innenhof ab. Meine Wohnung? Parterre. Hinterhaus nach hinten raus. Leider alles ziemlich dunkel. Nicht die perfekte Lage für eine junge Frau, aber die perfekte Lage für einen Einbruch …

Ich schloss also an diesem Januarabend mein Rad ab und ging durch die dunkle Tür ins Hinterhaus. Alle Türen in diesem Gebäude waren dunkelbraun gestrichen. Düster. Ein Zeugnis längst vergangener Tage, ein Relikt aus der Nazizeit… Tja und dann? Dann kam er, der Moment. Der Moment, der sich bis heute tief in meinem Gedächtnis und meiner Seele  eingegraben hat. Den ich bis heute 1 zu 1 wiedergeben kann. Selbst 23 Jahre danach.

Ich sehe meinen Arm in meinem orange-rot farbenen Jack Wolfskin Fleece. Ich sehe den Haustürschlüssel und wie ich ihn in das Schloss meiner kack-dunkelbraunen Wohnungstür schiebe.
Wie ich versuche ihn umzudrehen.
Und wie das Schloss mir entgegenfällt – langsam – in Zeitlupe auf den Boden fliegt. Auch kackbraun.

Hau bloß ab, Tanja!

„Kaputt!“. Das war mein erster Gedanke. Es dauerte ein Moment, bis ich „begriff“ und mein Körper mich alarmierte. „Hey Tanja. Da stimmt was nicht! Mach bloß, dass du wegkommst, Tanja! Hau ab!“. Mein Geist jedoch versuchte weiterhin, eine plausible, rationale Erklärung zu finden. Feuerwehreinsatz? Unser Hausmeister bei der Reparatur? Mein Körper hingegen wusste die Antwort längst. „Einbruch! Tanja! Hau endlich ab! Die sind vielleicht noch in deiner Wohnung!“

Wenig später saß ich zitternd auf dem Küchenstuhl meiner Nachbarin Mia. Vor mir: eine heiße Tasse Tee. In mir: Irritation und Angst. In meiner Not war ich die Treppe hoch zu ihr gerannt. Sie wohnte in der 1-Zimmer-Wohnung über mir. Mia war immer zuhause. Das wusste ich. Warum? Weil ich mich immer darüber lustig gemacht hatte und mich gefragt habe, warum ein 18jähriges Mädel nie ausgeht. Nun – in diesem Moment jedoch – war ich froh darüber, dass sie eine Stubenhockerin war. Gemeinsam riefen wir die Polizei an. Es dauerte relativ lange, bis 2 müde Polizisten kamen. Eine Stunde in ihrer Zeitrechnung. Für mich eine Ewigkeit.

Die nächsten Schritte waren für die Zwei absolute Routine. Für mich jedoch alles andere als das. Meine Gefühlswelt geriet aus den Fugen. Komplett. Fremde Menschen waren in mein Zuhause eingedrungen. Hatten alles durchsucht, alles angefasst und vieles was mir teuer und wert war mitgenommen. Und fremde Menschen waren es jetzt auch, die sich darüber ein Bild machten. In alles ihre Nase steckten, alles in Augenschein und Fingerabdrücke nahmen, protokollierten. Grenzüberschreitung reloaded – Teil 2 an diesem dunklen Januartag.

Die Einbrecher hatten in meiner kleinen Küche sogar gegessen. Was die Polizei darauf schließen ließ, dass sie meinen Tagesablauf kannten. Weil sie mich zuvor wahrscheinlich beobachtet, unbemerkt von mir an meinem Leben teilgenommen hatten. Wie auch bei den anderen, die wie ich an diesem Tag Opfer einer organisierten Einbruchsserie wurden. Tage später informierten mich die Beamten, dass an jenem Tag in insgesamt 18 Wohnungen in unserem Viertel eingebrochen wurde.

Wir alle – jeder einzelne von uns – wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Tage lang beobachtet. Wann verlassen wir üblicherweise das Haus? Wann kommen wir wieder? Und so weiter und so weiter. Tja und dann wurde der Einbruch geplant. Und ausgeführt. Meine Wohnung muss wohl eine der letzten gewesen sein. Eine Nachbarin hatte die Einbrecher gesehen, wie sie einen Wäschekorb aus der Wohnung trugen. Ihr kam es nicht in den Sinn, dass da etwas nicht stimmen könnte. Zwei Fremde Männer aus meiner Wohnung…  Zu ihrer Verteidigung ist zu sagen, dass sie schwer alkoholkrank war und die Einbrecher gefragt hatte, ob die Tanja wieder ausziehen würde. Antwort: „Ja!“. Außerdem hätte sie sich ja schlecht diesen Menschen entgegenstellen können.

Antwort „Ja!“

Es hat Wochen gedauert, bis ich einigermaßen wieder Vertrauen in meine Wohnung fassen konnte. Wirklich wohlgefühlt habe ich mich aber dort nie wieder. Ich wusste: sobald die 2 Jahre meines Zeit-Mietvertrages vorbei sein würden, würde ich umziehen. Neue Wohnung, neues Glück. Aber bis dahin sollte es noch lange dauern. Ich war ja erst im Herbst eingezogen und steckte nun in diesem verdammten Vertrag fest.

Wenn ein Spanner vor deinem Fenster onaniert.

Just zu dem Zeitpunkt, als ich wieder einigermaßen ohne mulmiges Gefühl in der Wohnung verbringen konnte, warf mich die nächste Grenzüberschreitung aus der Bahn. Eines dunklen Abends stand ein Spanner an meinem Fenster und onanierte. Diesmal war die Polizei innerhalb von Minuten da. Viele Jahre später erklärte mir ein Polizist, dass man in einem solchen Fall von einer Gefahr für das Menschenleben ausgeht. Bei einem Einbruch nicht.

Brav und vertragstreu habe ich meine Zeit in dieser Wohnung in der Seestraße 107 in Berlin abgesessen. Doch wie gesagt: ich habe mich dort nie wieder zuhause gefühlt. Sicher gefühlt. Es gab kein Vertrauen mehr in die eigenen 4 Wände. Ich war immer auf hab acht. Es könnte ja einer kommen.

Bis heute gibt es Situationen, in denen mich von einer Sekunde auf die andere die Angst erfasst und ich alle Türen und Fenster überprüfe und jeden Raum absuche, ob sich jemand Zutritt verschafft hat. Auch in anderen Verhaltensweisen bin ich seit damals neurotisch. Krank. Mißtrauisch. So verstecke ich zum Beispiel immer meine Wäsche. Wohlgemerkt: meine getragene Wäsche. Mir fällt es jetzt gerade nicht leicht, darüber zu schreiben, weil es mir peinlich ist. Obwohl es das ja nicht sein müsste, weil ich das Opfer bin. Ich fasse mir trotzdem ein Herz. Jemand muss es ja mal ansprechen. Wie es sich für eine Frau anfühlt, wenn neben Wertgegenstände auch die benutzte Unterwäsche gestohlen wird. Damals war ich zuerst irritiert – fast gar belustigt, dass diese verschwunden war. Bis man mir gesagt hat, dass man damit Höchstpreise auf dem Schwarzmarkt erzielen kann. Weitere Worte muss ich sicher nicht schreiben….

Der Verstand sagt „BLEIB!“, das Herz sagt „GEH!“

Warum erzähle ich Euch von meinem Wohnungseinbruch? Wie gesagt: Der Einbruch hatte dazu geführt, dass ich viele Wochen und Monate gebraucht habe, um mit meiner Gefühlswelt zumindest ansatzweise wieder klar zu kommen. Wie heißt es so schön? Die Zeit heilt die Wunden. So auch bei mir. Am liebsten aber wäre ich damals unverzüglich ausgezogen. Aber Ihr wisst ja: das ging nicht. Durch diesen beschissenen Zeit-Mietvertrag war ich für 2 Jahre an die Wohnung gebunden. Also habe ich mich arrangiert. Zumindest sagte mir das meine „Vernunft“, dass ich mich arrangieren musste. Mein Körper und meine Seele hingegen schrien vor Angst „Weg hier! Bloß weg hier!. Vertrag hin oder her, das ist doch egal!“

Aber mein Kopf und mein Verstand appellierten an mich in fortwährender Gleichmäßigkeit „Hey, Vertrag ist Vertrag, da kannst du nicht raus! Einfach ein Zimmer in einer WG zusätzlich zu mieten, um dich sicher zu fühlen, dafür hast du kein Geld! Und außerdem: stell dich nicht so an. Es war ja nur ein Einbruch…. !“ Und so musste ich bleiben. In einem Zuhause, das nicht mehr mein Zuhause war. Und es auch nie wieder werden sollte.

Grenzüberschreitungen

In meinem Job als Coach erlebe ich es häufig, dass Mitarbeiter in Unternehmen ganz ähnliche Situationen erleben. Freilich nur selten gestohlene Wertsachen und in der Regel auch keine entwendete getragene Unterwäsche. Aber sie erleben demütigende Grenzüberschreitungen, Einbrüche in die persönliche Wertewelt. Grenzüberschreitungen durch Führungskräfte. Grenzüberschreitungen durch Kolleginnen und Kollegen. Prekäre Arbeitsbedingungen, befristete Arbeitsverträge, geringe Jobsicherheiten, Zurechtweisungen vor den Kollegen, Sticheleien. Die Liste der Grenzüberschreitungen ist gefühlt endlos. Und doch schaffen es viele gedemütigte Menschen nicht, einfach ihr Säckchen zu packen und sich auf den Weg zu machen. Auf zu neuen Ufern. Weil…. Ja warum eigentlich?. Weil der Kopf und der Verstand sie hält. „Du findest nichts Neues. Vor allem nicht in Zeiten von Corona. Dich will eh keiner. Du bist eh schon zu halt. Du musst durchhalten… Stell dich nicht so an…. und, und, und….

Was hilft?

Dort, wo Unternehmen selbst Teil der Machenschaften sind und diese mittragen – euch sei gesagt: „Früher oder später wird sich die sich wandelnde Arbeitswelt rächen.“

Unternehmen müssen lernen hinzuschauen und solche oftmals im Verborgenen wirkenden Druck-Mechanismen in aller Klarheit und Deutlichkeit anzusprechen, konsequent nachzuhalten und abzuschalten. Auch wenn das bedeutet, sich von machtmissbrauchenden Menschen zu trennen.

Prinzip Selbstverantwortung. Oder wie ich so gerne sage: Du bist nicht nur für das verantwortlich, was du tust, sondern auch für das, was du nicht tust. Wer in einer solchen falschen „Wohnung“ also im falschen Job oder beim falschen Arbeitgeber feststeckt, der ist dazu aufgefordert, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Und zu gehen. Auch wenn das erstmal Mehrkosten verursacht und der Verstand und alte Glaubenssätze dir sagen: „Geht doch gar nicht!“

Wenn „Herz und Seele“ schreien: GEH! – dann mach das auch! Sie sind klüger als der Verstand. Es heißt zwar: die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber warum so lange aushalten? Such dir jemanden, der dir zuhört und der dich darin bestärkt, zu gehen. Freunde oder aber auch ein externer Coach. Was du brauchst ist lediglich ein Quäntchen Mut. Alles andere wird sich finden.

PS – Postskriptum

Und? Wie schaut’s bei dir in Sachen „Grenzüberschreitungen“ aus?
Wer hat wie bei dir Grenzen überschritten? Und? Wieder alles gut?
Oder: Wo hältst du etwas aus? Vielleicht schon ziemlich lange? Weil dir der Mut fehlt, neue Schritte zu wagen?
Und was glaubst du, wie du in 2 Jahren darüber denkst, wenn du heute mutig bist?

Denk mal drüber nach!

 

PPS: Vielleicht bringt dir mein Klärungs-Coaching Klarheit über deine nächsten Schritte…